Die Lebensmittelindustrie steht vor großen Veränderungen. Allerorts wird nach ressourcenschonenden Alternativen für unsere Ernährung gesucht. Clean Meat will dabei künftig eine große Rolle spielen. Doch kann sich das Fleisch aus dem Labor wirklich durchsetzen?
Was ist Clean Meat und wie funktioniert die Herstellung?
Der Begriff Clean Meat, übersetzt „sauberes Fleisch“, ist zunächst ein genialer Marketing-Schachzug. Denn die sonst üblichen Label des vermeintlichen Zukunftsproduktes lassen sicher so einige Konsumenten die Nase rümpfen: Laborfleisch, kultiviertes Fleisch oder auch In-vitro-Fleisch sind bisher gängige Bezeichnungen für eine Technologie, die derzeit starke Entwicklungssprünge verzeichnet. In-vitro steht dabei für „im Glas“, womit die Petrischale gemeint ist, mit der Forscher im Labor für gewöhnlich hantieren.
Das klingt zunächst alles nach kalter Science Fiction und erscheint wenig appetitlich. Jedoch sollte hier berücksichtigt werden, dass ein Besuch in einem gewöhnlichen Schlachthof sicher auch nicht gerade Lust auf das nächste Schnitzel macht. Ob etablierte Fleischwirtschaft oder Clean Meat-Startups: Auf beiden Seiten versuchen Unternehmen, ihre Produkte als möglichst ansprechend darzustellen. Es lohnt sich also, hinter die Kulissen der Laborfleisch-Herstellung zu blicken. Welche Vorteile und welche Nachteile bringt Clean Meat mit sich?
Die Entwicklung von in-vitro-Fleisch schreitet jedenfalls rasant voran: Im Jahre 1997 wurde das erste Patent für Laborfleisch angemeldet. 2013 präsentierte das Unternehmen Mosa Meat den ersten Labor-Burger zu einem stolzen Preis von rund 250.000 Euro. Heute können interessierte Konsumenten in Singapur eine Portion Chicken Nuggets aus dem Bioreaktor bereits für rund 14 Euro verspeisen. Das Unternehmen Eat Just hat es als erstes geschafft, die Zulassung für im Labor gezüchtetes Fleisch zu bekommen.
In den USA erklärte die oberste Lebensmittelbehörde Ende 2022, keine Einwände mehr gegen die Marktzulassung für in-vitro-Fleisch↗ des Unternehmens Upside Foods zu haben. Es scheint also, eine neue Technologie befindet sich kurz vor ihrem Durchbruch auf den Massenmarkt.
Die Herstellung von Laborfleisch: Zwischen moderner Biotechnologie und Bierbrauen
Tissue Engineering, also Gewebezucht, heißt der Prozess der künstlichen Fleisch-Herstellung im Labor. Dafür benötigen die Forscher zunächst Stammzellen aus dem Gewebe eines Tieres. Diese werden entnommen, ohne dass das Tier dabei stirbt. Anschließend werden die Stammzellen auf ein Nährmedium aufgetragen. Im Bioreaktor vermehren sich die Zellen durch letztlich recht natürliche Zellteilung. Befürworter von Clean Meat vergleichen diesen Prozess gerne mit dem Brauen von Bier oder der Herstellung eines Hefeteiges. Denn auch bei diesen Fertigungsverfahren laufen komplexe biochemische Prozesse ab.
Bei der Zellteilung im Bioreaktor bildet sich dann auch das begehrte Muskelfleisch aus, wie es Steak-Fans gerne in der Pfanne braten. Da Clean Meat allerdings keine Weide zu sehen bekommt, bevor es auf dem Teller landet, werden die Muskelfasern des Fleisches im Labor mit mechanischen oder elektrischen Impulsen stimuliert. Als Endprodukt kommt nach rund sechs Wochen dann Fleisch aus dem Bioreaktor, welches chemisch gesehen keine Unterschiede zu dem Steak aus dem Schlachthof aufweist. Entscheidender Faktor allerdings: Für das Clean Meat musste kein Tier sterben – zumindest in der Theorie nicht.
Warum Clean Meat? Befürworter betonen die Vorteile von Laborfleisch
Die Vorteile, die Befürworter von Clean Meat anführen, sind zunächst nicht ganz von der Hand zu weisen. An erster Stelle steht dabei die Vermeidung von Tierleid. Ebenso seien große Einsparungen in den Bereichen Ressourcen und Energie möglich, sollte Clean Meat zum Massenprodukt werden. So stecken in einem Kilo konventionellem Rindfleisch rund 15.000 Liter Wasser. Allein diese Zahl verdeutlicht schon das riesige Einsparpotential durch Innovationen.
Da neben in-vitro-Fleisch auch Fisch aus der Petrischale das Forscherinteresse weckt, könnte auf diese Weise auch die globale Überfischung der Weltmeere eingedämmt werden. Ein Bereich der Lebensmittelproduktion, der wohl noch problematischer ist als die weltweite Fleischindustrie.
Zwar haben viele Verbraucher sicherlich große Vorbehalte gegen Fleisch oder Fisch aus dem Labor. Doch mit dem cleveren PR-Schachzug, die in-vitro-Kultivierung als „sauberes Fleisch“ zu vermarkten, stehen der neuartigen Technologie sicherlich auch einige Türen offen. Bereits im Jahr 2018 erklärten sich zwei Drittel der Europäer in einer Umfrage dazu bereit, Clean Meat↗ einmal zu probieren.
Klar ist indessen: Die industrielle Produktion von Tierfleisch ist ein äußerst blutiges und wenig appetitliches Geschäft. Konventionelles Fleisch hätte sicherlich ebenfalls größere Absatzprobleme, wenn mehr Menschen über den konkreten Herstellungs- und Verarbeitungsprozess von Massentierhaltung bis Schlachtindustrie bescheid wüssten.
Hinzu kommt, dass Laborfleisch – so künstlich es zunächst anmutet – letztlich ein relativ natürliches Produkt ist. Fragwürdige Chemikalien kommen nicht zum Einsatz. Auch auf den Einsatz von Antibiotika – wie er in der Tierhaltung sonst üblich ist – wollen die Labormetzger künftig ganz verzichten können.
Auf den zweiten Blick wird es kompliziert: Die Nachteile von Clean Meat
Doch natürlich ist nichts so einfach, wie es zunächst erscheint. Ist Clean Meat tatsächlich das „nächste große Ding“? Und revolutioniert das Laborfleisch die weltweite Lebensmittelproduktion, wie manche Stimmen prophezeien? Oder scheitert der Sprung auf den Massenmarkt? All das ist längst nicht ausgemacht.
Denn trotz ihrer jüngsten Erfolge bei der Senkung der Produktionskosten steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen. Zahlreiche Herausforderungen stehen noch auf der Agenda.
Die Probleme und Nachteile von Clean Meat beginnen bereits bei der Nährlösung, auf welcher die Stammzellen gedeihen. Zwar geben einige Hersteller von in-vitro-Fleisch↗, wie etwa SuperMeat oder Mosa Meat, an, rein pflanzliche Nährböden entwickelt zu haben. In der Regel benötigt dieser Schritt allerdings ein Serum, welches auf äußerst brutale Weise lebenden Tier-Föten entnommen wird. Diese überleben den Prozess – anders als die tierischen Stammzellenspender – nicht. Von tierleidfreiem Fleisch kann also beim genauerem Blick keine Rede sein, wie auch die Verbraucherzentrale anmerkt. Diese stuft Clean Meat gar als irreführenden Begriff↗ ein.
Bis man in-vitro-Fleisch kaufen kann, vergeht noch einige Zeit
Damit eines Tages auch appetitlich gewachsene Steaks aus dem Bioreaktor kommen, müssen sich die Zellen zudem auf einem dreidimensionalen Trägergerüst aus tierischem Kollagen vermehren. Das Kollagen stammt bislang noch aus den Knochen getöteter Schweine oder Rinder. Und auch dieser komplizierte Herstellungsprozess ist längst nicht ausgereift. Bislang steht auf der Speisekarte der Laborfleischer ausschließlich Hackfleisch. Und dieses kann nur in kleinen Mengen „geerntet“ werden.
Das größte Hindernis für Laborfleisch bleibt indes der Preis. Schätzungen gehen davon aus, dass selbst unter Bedingungen einer späteren Massenproduktion der Kilopreis für Clean Meat bei mindestens 15 Euro liegen wird. Damit taxiert in-vitro-Fleisch beim Vielfachen von konventionellem, in Deutschland produziertem Schweinefleisch.
Anderseits: Jede neue Technologie bringt zunächst hohe Kosten mit sich. Erst später können durch Massenproduktion und weitere Innovationen die Preise erheblich sinken. Bisherige Studien sind damit eher eine Zwischenkalkulation. Denkbar ist jedoch auch, dass Clean Meat – wenn überhaupt – später einmal vor allem als luxuriöses Nischenprodukt Beachtung findet.
Ist in-vitro-Fleisch vegan und hilft es beim Abnehmen?
Man könnte annehmen, dass Vertreter einer veganen Ernährungsweise große Befürworter von Clean Meat sind. Doch gerade auch in veganen und vegetarischen Kreisen ist die Haltung zum Laborfleisch uneinheitlich. Deutliche Kritik wird formuliert.
So wird angemerkt, dass das Fleisch aus dem Bioreaktor – zumindest beim derzeitigen Entwicklungsstand – wie oben gezeigt keineswegs tierleidfrei ist. Auch biochemisch handelt es sich bei Clean Meat natürlich nicht um ein veganes Lebensmittel, da die Zellen des Fleisches sich nicht von denen eines geschlachteten Tieres unterscheiden.
Während einige Stimmen also die zu erwartende Minimierung von Tierleid durch in-vitro-Fleisch begrüßen, führen schärfere Kritiker an, dass mit dem Laborfleisch ein völlig falscher Weg eingeschlagen wird. So sei das „saubere Fleisch“ nicht weniger bedenklich für die Gesundheit der Konsumenten. Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien ebenso zu erwarten, wie beim übermäßigen Verzehr von Schlachthof-Produkten. Auch Clean Meat würde also nicht beim Abnehmen helfen. Ein genereller Umstieg auf pflanzliche Lebensmittel sei auch aus gesundheitlichen Gründen weit sinnvoller, so die Kritiker.
Clean Meat vs. Plant-Based Meat – Der Markt der Alternativen ist umkämpft
Sogenanntes Clean Meat ist längst nicht die einzige Alternative, die sich anschickt, herkömmliche Fleischprodukte zu ersetzen. Die Vegansierung von tierischen Lebensmitteln gilt als einer der großen Ernährungstrends des Jahres 2023. Pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte haben es längst in die Supermarktregale der großen Discounter geschafft.
Neben Erbsen, Soja, Weizen und weiteren Pflanzen kommen dabei auch die Myzele von Pilzen zum Einsatz. Das US-Unternehmen Beyond Meat hat mit dem Verkauf pflanzenbasierter Burger-Patties bereits einige Bekanntheit und Marktakzeptanz erlangt.
Dies zeigt: Grundlegendes Interesse seitens der Verbraucher an Alternativen zum herkömmlich produzierten Fleisch ist auf jeden Fall vorhanden. Ob auch Clean Meat letztlich Fans findet, entscheidet sich langfristig wohl an der Frage, ob fleischähnliche Ersatzprodukte aus pflanzlichen oder fungalen Quellen den Verbrauchern ausreichen. Oder ob ab und zu eben auch ein „echtes Steak“ auf den Teller soll, das allerdings nicht aus dem Schlachthof kommt.
Zukunftsmarkt Clean Meat? Das Laborfleisch zieht namenhafte Investoren an
Für einige bekannte Big Player scheint diese Chancen-Risiko-Abwägung bereits klar zu sein. Auch wenn die Entwicklung von Clean Meat größtenteils durch junge Start-up-Unternehmen vorangetrieben wird, sind in diesen in der Regel namenhafte Größen investiert. Dazu gehöret der Pharmakonzern Merck ebenso wie der weltweit größte Futtermittelhersteller Cargill. Der deutsche Geflügelzüchter Wiesenhof sowie der Softwaremilliardär und weltweit größte Privateigentümer von Ackerland, Bill Gates, haben sich ebenfalls eingekauft.
Genau wie sein Milliardärs-Kollege Richard Branson investierte Gates bereits vor fünf Jahren in das Laborfleisch-Unternehmen Memphis Meats/Upside Foods↗ und prognostiziert, dass die bisher betriebene Viehwirtschaft bei steigender Weltbevölkerung künftig schlicht mehr möglich sein wird.
Laborfleisch-Aktien und ETF – Kann man als Kleinanleger in Clean Meat investieren?
Doch wie sieht es für den Privatinvestor aus? Wie gezeigt: Wer beim Burger-Brater um die Ecke gerne Clean Meat serviert bekommen möchte, muss noch eine ganze Weile warten. Für die Massenproduktion ist die Technologie längst nicht ausgereift. Ist es da vielleicht eine gute Idee, wenigstens finanziell frühzeitig auf den Zug einer möglichen Zukunftstechnologie zu springen?
Wie immer diese Frage finanziell beantwortet wird, so leicht ist ein Investment in Clean Meat gar nicht. Die Start-ups, welche derzeit an der Entwicklung von Laborfleisch arbeiten, sind noch nicht an der Börse gelistet. Die Aktien der Unternehmen, die Namen wie Mosa Meat, Eat Just oder Upside Foods tragen, stehen nur einem kleinen Kreis von Risikoinvestoren offen.
Aktien des Unternehmens Beyond Meat sind zwar auch für Kleinanleger erhältlich, dieses Unternehmen stellt allerdings lediglich Fleischersatz-Produkte auf Pflanzenbasis her. Clean Meat-Aktien oder Laborfleisch-ETF sind damit bislang ebenso wenig für den normalen Verbraucher zu haben, wie das Steak aus dem Bioreaktor.
Update: Am 21.06.2023 wurde bekannt, dass das Landwirtschaftsministerium der USA die endgültige Marktzulassung für Hähnchenfleisch aus dem Labor erteilt hat.